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Ein italienischer Klassiker

Tourenskischuh-Klassiker im Test: der Scarpa Maestrale

6 Minuten Lesezeit
Der italienische Schuhhersteller Scarpa hat seinen Allround-Klassiker zum Skitourengehen, den „Maestrale“, im Modell 2020 einer größeren Revision unterworfen. Für das Bergzeit-Magazin hat Markus Stadler den Skischuh in den letzten Wochen einem eingehenden Praxistest unterzogen.

Daten und Fakten zum Scarpa Maestrale

Der Scarpa Maestrale besteht sowohl im Schaft als auch in der Schale aus dem modifizierten Pebax Rnew. Dazu ist er mit der Vibram-Sohle „Cayman Pro“ ausgestattet und besitzt einen thermoformbaren Innenschuh, der vom Händler individuell angepasst werden kann. Es handelt sich um einen Dreischnaller, der mit einem angegebenen Gesamtgewicht von 1.440 Gramm/Stück bei Größe 27,0 für einen Freeride-tauglichen Allrounder relativ leicht ist. Zu den leichteren Modellen unter den aufstiegsorientierten (nicht für Wettkämpfe optimierten) Tourenskischuhen ist aber doch noch ein merklicher Abstand von 200 bis 400 Gramm. Selbstverständlich ist der Maestrale mit allen gängigen Tourenbindungen kompatibel, eine Ausnahme bildet die kaum verbreitete TR2 von Trab.

Der Tourenskischuh im Praxiseinsatz

Der Testschuh traf kurz vor Weihnachten bei mir ein. Seither bin ich etwa zehn gemütliche Touren von 500 bis 1.200 Höhenmetern Aufstieg damit gegangen. Ein etwas längerer Ausflug ging ins Griesnerkar im Wilden Kaiser, wo sowohl ein langer flacher Zustiegshatscher auf einer Langlaufloipe (mit Skating bei der Abfahrt), als auch eine bis zu 45 Grad steile Schneerinne inkludiert sind. Den ultimativen Härtetest startete ich dann an der Ahornspitze im Zillertal, wo die Schuhe von Haustüre zu Haustüre an den Füßen blieben und vielfältigste Anforderungen erfüllen mussten: die Radlfahrt zum Bahnhof, einen Sprint zum Anschlusszug, 600 Höhenmeter Fußaufstieg im aperen Wald, 1.500 Höhenmeter Skiaufstieg, 200 Höhenmeter Schneestapfen mit leichter Blockkletterei, Abfahrt im Windharsch und Pulverschnee, Gegenanstieg, Talabfahrt auf der Kunstschneepiste – also fast das volle Programm eines Skibergsteigers.

Scarpa Maestrale im Test beim Aufstieg
Der Scarpa Maestrale: Ein Tourenskischuh, der sich mit 110er Flex vor allem auf die Abfahrt freut. | Foto: Markus Stadler

Passform und Handling

Ich habe Schuhgröße 45 und trage den Maestrale in der Größe 30.0 Mondopoint, sein Gewicht habe ich selbst gewogen: 1.615 g (davon Schale 1.325 g, Liner 290 g). Meine Füße sind eher schlank mit durchschnittlicher Risthöhe. Die Passform taugte mir von Anfang an gut, weshalb ich auf die thermoformbare Anpassung verzichtet habe. Nur die Ränder der Innenschuhzunge waren am Schienbein anfangs noch deutlich spürbar, was aber nach wenigen Touren verschwunden ist. Beim Gehen in der Ebene und bergab stoße ich leicht mit dem Großzeh vorne an, bergauf und beim Skifahren hingegen nicht. Die Range der Schnallen passt für mich, wobei die obere und die vordere Schnalle bereits am Anschlag sind. Für noch dünnere Waden oder einen niedrigeren Rist könnte es zu wenig Spielraum sein. Bis dato hab ich mir keine einzige Blase oder Druckstelle gelaufen.

Das Aus- und Einsteigen geht bei geöffneten Schnallen problemlos, zwei angebrachte Schlaufen am Innenschuh erleichtern es zusätzlich. Die Schnallen sind leichtgängig und mit wenig Kraftaufwand schließbar. Anfällig gegenüber Vereisung ist am ehesten die vordere Schnalle, wo es dann etwas fummeliger sein kann, den Draht in die zugehörige Rille zu bringen. Das Klettzugband ist durch seine hochwertige, starre Verarbeitung auch für Grobmotoriker einfach einzufädeln. Das Umstellen von Aufstieg auf Abfahrt erfolgt kraftsparend durch einen einfachen Kipphebel. Manchmal bildet sich am Bügel in der Aufnahme Eis, welches das Einrasten des zugehörigen Metallstegs verhindert. Bisher reichten bei mir zum Entfernen der Vereisung immer ein paar kurze Schläge mit dem Skistock. Der Schaft rastet dann in einer leichten Vorlage selbsttätig ein. Durch eine freihängende Grifflasche lässt sich die Arretierung auch mit dicken Handschuhen super bedienen. Nicht ganz so einfach ist das Aus- und Einbauen der Innenschuhe, das etwas Kraft und Übung erfordert. Am Schaft gibt es Löcher mit luftdurchlässiger Membran, die in begrenztem Rahmen für eine Belüftung sorgen

Der Skitourenschuh im Aufstieg und in der Abfahrt

Im Aufstieg hängt man den Bügel der obersten Schnalle am besten in der äußersten Rasterung ein. Diese ist zylindrisch geformt, so dass der locker darin liegende Bügel durch die Gehbewegung nicht herausgedrückt wird. Zusätzlich wird das unerwünschte Herausspringen aus dieser Position durch einen darüber liegenden Drahtbügel verhindert. Das funktioniert perfekt und in Kombination mit dem 60 Grad großen Bewegungsradius des Schaftes hat man sowohl den nötigen Halt im Schuh, als auch super viel Spielraum für eine natürlich Gehbewegung. Die leicht nach oben gebogene Sohle im Bereich der Fußspitze unterstützt die Abrollbewegung beim Gehen ohne Ski. Man kann sogar halbwegs gut damit auf geteerter Straße laufen – zum Beispiel, um einen Zug zu erwischen. Die Profilsohle gibt optimalen Halt auf fast jedem Untergrund und das „Feeling“ auf Felstritten ist erstaunlich gut. Das Gehen und Klettern mit Steigeisen konnte ich noch nicht ausprobieren. Mein Grivel G12 New Matic sitzt jedoch tadellos.

Tester im Aufstieg beim Test des Scarpa Maestrale
60° Bewegungswinkel und eine gerockerte Sohle machen den Maestrale angenehm im Aufstieg. | Foto: Markus Stadler

Hat man den Schaft in der Abfahrtsposition arretiert, befindet man sich in einer leichten Vorlageposition von etwa 16 Grad. Die Winkelstellung lässt sich in der Bandbreite +/- 2 Grad mit Inbusschlüssel verstellen. Obwohl ich bereits die am stärksten nach vorne geneigte Einstellung vorgenommen habe, ist die Vorlagenposition geringer als bei meinem letzten Skischuh. Gerade mit schwerem Rucksack ist es wichtig, aktiver in die Vorlage zu gehen. Da der Flexwert von 110 für einen reinen Tourenschuh recht steif ist, lässt sich die Körperposition über dem Ski durch die Beugung im Sprunggelenk nur wenig beeinflussen. Für mich persönlich und für meinen Fahrstil wäre daher etwas mehr Vorlage als sie der Maestrale bietet günstiger. Dafür kann man den Schuh mit seinen drei Schnallen perfekt anpassen. Die vorderste Schnalle besitzt zwei Aufhängpunkte und eine Art Flaschenzugsystem und deckt dadurch den gesamten Rist ab. Hinzu kommt ein top verarbeitetes, breites Klettband für stabilen Sitz am oberen Abschluss. So steht man einerseits komfortabel im Schuh und kann seine Ski trotzdem sehr präzise damit steuern.

Ich bin ein reiner Tourengeher ohne Freeride- oder Skipisteneinsätze. Entsprechend hatte ich meine bisherigen Tourenschuhe vor allem nach Komfort und Gewicht gewählt. Der Maestrale ist der stabilste Touren-Skischuh, den ich bisher in Gebrauch hatte – und gleichzeitig einer der leichteren.

Vor- und Nachteile auf einen Blick

+ Gute Stabilität in der Abfahrt bei gleichzeitig relativ geringem Gewicht
+ Großer Bewegungsspielraum im Aufstieg
+ Ausgereiftes Schnallensystem + gutes Klettgurtband zur optimalen Fixierung für die Abfahrt
+ Gutes Feeling auch beim Gehen ohne Ski und im Fels
+ Hoher Tragekomfort – u.a. durch Schalenbelüftung

– Geringe Vorlagenposition
– Aus- und Einbau der Innenschuhe erfordert Übung
– für die Kartegorie „aufstiegsorientiert“ relativ schwer gegenüber den leichtesten Modellen

Das Testfazit

Der Maestrale kommt der berühmten eierlegenden Wollmilchsau schon ziemlich nahe. Die beiden Gegenpole aus maximaler Stabilität und minimalem Gewicht wurden von den Entwicklern bestmöglich angenähert. Logisch, dass der Schuh in keiner der beiden Kategorien Spitzenwerte erzielt. Er rangiert aber jeweils weit über dem Durchschnitt. Ansonsten besticht er mit durchdachtem Handling, grundsolider Verarbeitung und hohem Tragekomfort.

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