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Wilder Freiger: Solo-Hochtour ohne Gletscher

6 Minuten Lesezeit
Wenn Du auf der Suche nach einer konditionell anspruchsvollen Hochtour bist, die Du auch alleine gehen kannst, dann wirst Du am Wilden Freiger auf jeden Fall fündig. Bergzeit Autor Chris Stoll berichtet über seine Solotour in den Stubaier Alpen.

Auch bekannt als „Cima Libera“, liegt der einprägsame Stubaier Gipfel direkt an der Grenze zwischen Tirol (Österreich) und Südtirol (Italien) und muss sich vor seinen Nachbarn Zuckerhütl und Wilder Pfaff keineswegs verstecken. Mit 3.418 Metern und dem schmal zulaufenden Gipfelgrat ist die Besteigung des Wilden Freigers auf jeden Fall eine ausgewachsene Hochtour. Das Besondere: Um den Gipfel zu erreichen, muss auf dieser Route keiner der angrenzenden Gletscher begangen werden. Somit eignet sich der Wilde Freiger perfekt als Solo-Tour.

Ohne Spaltengefahr auf den Wilden Freiger

Da keiner meiner Bergspezl am Wochenende Zeit hat, möchte ich Gletscherberührungen meiden, aber trotzdem hoch hinaus und so weckt der schöne Südtiroler Gipfel mein Interesse. Die Route steht schnell fest: Vom Parkplatz am alten Erzbergwerk im Ridnauner Tal (1.413 Meter) geht es am ersten Tag über unglaublich facettenreiche Pfade und Steige vorbei an der Grohmannhütte und der Teplitzerhütte bis zum Becherhaus. Der tollen Übernachtung auf Südtirols höchstgelegener Schutzhütte (3.195 Meter) folgt ein wunderschöner Gratanstieg zum Gipfel (3.418 Meter) und nach einer kurzen Brotzeit auch schon der lange Abstieg zurück zum Auto.

Ein Bergsteiger auf dem Gipfelgrat macht ein Selfie mit dem Becherhaus ganz in der Ferne.
Das exponiert gelegene Becherhaus, die höchstgelegene Schutzhütte Südtirols, thront in der Ferne wie auf dem Präsentierteller. | Foto: Christoph Stoll

Etappe 1: Von Ridnaun zum Becherhaus

Ich nehme die rund 40 Minuten extra Aufstieg zum Becherhaus, statt zur Müllerhütte, in Kauf und werde dafür mit einem Panorama belohnt, das den Atem stocken lässt. Zum hochalpinen Ausblick gesellt sich die geschichtsträchtige Vergangenheit der Hütte und diese hat einige Überraschungen für mich parat! Erbaut zu Ehren der österreichischen Kaiserin Sissi, kam es unglücklicherweise doch nie zu einem Besuch von ihr. Nur eine Woche bevor sie das erste Mal aufsteigen wollte, wurde sie ermordet.
In der Stube hängt außerdem ein Ölgemälde von Andreas Hofer. Beim Abendessen hänge ich wie gebannt an den Lippen zweier Bergveteranen, die mir erzählen, dass der Pächter des Becherhauses, Erich Pichler, ein direkter Nachfahre des Südtiroler Freiheitskämpfers ist.

Samstagmorgen weiß ich jedoch noch nichts von all dem und habe erst einmal einen langen Anstieg zur Hütte vor mir. Vom Parkplatz am alten Bergwerk muss ich fast 1.900 Höhenmeter und 13 Kilometer hinter mir lassen, bevor ich das verdiente Weißbier genießen kann. Beim Aufsteigen kommt dennoch kein Missmut auf, die traumhafte Umgebung lässt mich die Länge des Anstiegs völlig vergessen.

Der Steig führt mich durch eine unglaublich vielfältige Berglandschaft: Im unteren Bereich noch dicht bewaldet, schlängelt sich der Weg an einem Fluss entlang nach oben. Schnell wird dieser zu einer Gischt-spritzenden Klamm mit großen Wasserfällen, ohrenbetäubendem Rauschen und tiefen Schluchten. Ein bisschen weiter oben dann wieder Idylle pur.

Mit zunehmender Höhe wird es steiler und anspruchsvoller

Ich durchquere den Aglsboden und träume beim Gehen vor mich hin, weil die Ruhe und Friedlichkeit der Hochalm irgendwie ansteckt. Bis hierhin war der Weg stets unschwer und nie besonders steil, das ändert sich nun. Mehr und mehr durchziehen Felsbrocken und Steinplatten den Steig, der nun steiler und anspruchsvoller wird, stets begleitet vom jetzt wieder stärkeren Rauschen des Bergstroms. Bei schnellem Gehtempo (am Nachmittag ist ein Schlechtwetterumschwung angesagt) erreiche ich die Grohmannhütte in ca. zweieinhalb Stunden. Ein paar steile Serpentinen, beeindruckende Wasserfälle und eine kurze drahtseilversicherte Passage später stehe ich vor der Teplitzerhütte.

Mittlerweile hat es stark zugezogen und die Orientierung ist aufgrund der großen Schneefelder und der schlechten Sicht äußerst anspruchsvoll geworden. Ich fühle mich noch fit und aufmerksam, im Umgang mit Karte und Kompass bin ich geübt, also entscheide ich mich weiter zu gehen. Wer sich an dieser Stelle nicht mehr fit fühlt, sollte überlegen auf der Teplitzerhütte zu bleiben oder zumindest eine lange Pause einzulegen. Es folgt das steilste und anstrengendste Stück der Tagesetappe – der Anstieg auf den Becher.

Der letzte Aufschwung zum Becherhaus hat es noch einmal in sich. Steil und blockig, gespickt mit großen Felsstufen und drahtseilversicherten Abschnitten heißt es Durchbeißen. Nach ungefähr sechs Stunden erreiche ich dann die höchste Schutzhütte Südtirols. Zwar gerade rechtzeitig vor dem Regensturm, aber leider bleibt mir so auch die Aussicht (erstmal) versagt.

Etappe 2: Vom Becherhaus auf den Wilden Freiger

Piep, piep, piep……Piep, piep, piep……der Alarm meiner Uhr holt mich aus dem Schlaf, das Display zeigt 5:30 Uhr. Ich möchte zum Sonnenaufgang am Gipfel sein. Noch etwas träge vom gestrigen Aufstieg ziehe ich mich an, schleiche über die knarzenden Dielen nach unten zum Stiefelkeller und mache mich abmarschbereit.

Von der Becherhütte zum Gipfel des Wilden Freigers sind es nur knapp über 200 Höhenmeter. Nicht zu unterschätzen ist der Felsgrat, den ich im schalen Licht meiner Stirnlampe begehe. Aber eben dieser Gratrücken macht die Besteigung des Gipfels möglich ohne einen Fuß auf den Gletscher setzen zu müssen. Im weitgehend gut markierten Wegverlauf muss ich eine kurze II-er Stelle überwinden, welche bestens mit Stahlstiften entschärft ist. Die Route macht mir jetzt richtig Spaß! Der Himmel hat über Nacht komplett aufgeklart, der Wind pfeift an mir vorbei, links immer den Gipfel im Blick, rechts eine steil abfallende Flanke – ich habe an diesem Morgen den Berg gänzlich für mich alleine.

Sonnenaufgang am Gipfel des Wilden Freiger.
Kurz vor Sonnenaufgang am Gipfel des Wilden Freiger. | Foto: Christoph Stoll

Die letzten Meter zum Gipfel muss ich mein Staunen über die atemberaubenden Farben kontrollieren und konzentriere mich nochmal auf meine Tritte. Durch den Neuschnee der letzten Tage ist aus der Querung zum Wilden Freiger ein kleiner Firngrat entstanden, gespickt mit Felsspitzen, die aus dem Weiß hervorragen. Und dann ist es geschafft. Ein spektakuläres Farbspiel begleitet den Sonnenaufgang, den ich kurz genieße bevor ich mich über die Aufstiegsroute wieder an den Abstieg mache. Da es am Gipfel stark windet, suche ich mir ein angenehmeres Frühstücksplatzerl.

Gestärkt durch eine ordentliche Brotzeit mache ich mich mit einem riesigen Grinsen an den langen, aber wunderschönen Abstieg. Heute kann ich die ganze Schönheit der Stubaier Bergwelt erfassen, denn es ist kaum eine Wolke am Himmel!

Tourdaten Wilder Freiger

Die Hochtour auf den Wilden Freiger ist nur für erfahrene Bergsteiger als Solo-Tour geeignet. Fundierte Beurteilung alpiner Gefahren unabdingbar! Gute Orientierung, Trittsicherheit und Umgang mit alpiner Ausrüstung zwingend erforderlich!

Tag 1

  • Route: Parkplatz (1.431 Meter) – Teplitzerhütte (2.586 Meter) – Becherhaus (3.195 Meter)
  • Gehzeiten: bis Teplitzerhütte ca. drei bis vier Stunden, weiter zum Becherhaus nochmals drei bis vier Stunden

Tag 2

  • Route: Becherhaus (3.195 Meter) – Wilder Freiger (3.418 Meter) – Parkplatz (1.431 Meter)
  • Gehzeiten: Becherhaus – Gipfel ca. ein bis eineinhalb Stunden, Abstieg ca. fünf bis sechs Stunden

Ausrüstung

  • Grundsätzlich keine Gletscher- oder Kletterausrüstung nötig, bei starker Schneelage Steigeisen ratsam.
  • Karte: Stubaier Alpen

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Weitere Hochtouren-Tipps im Bergzeit Magazin

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