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"Ich bin mit der Natur verschmolzen"

Eine Profi-Bergsteigerin im Interview: Tamara Lunger

11 Minuten Lesezeit
Mit ihrer Leidenschaft für die Natur und den Bergsport begeistert und inspiriert sie viele Frauen. Die Südtirolerin Tamara Lunger zählt zu den wenigen Profi-Bergsteigerinnen der Welt. Das Bergzeit Magazin hat sie getroffen.
Die Profi-Bergsteigerin Tamara Lunger im Interview
Die Profi-Bergsteigerin Tamara Lunger im Interview. | Foto: Bergzeit

Als Tochter eines bekannten Skibergsteigers hat Tamara Lunger die „Berg-Gene“ in sich. 1986 ist sie in den Bergen geboren und aufgewachsen. Bereits im Kindesalter widmete sie sich dem Skibergsport, sicherte sich einen Platz in der italienischen Nationalmannschaft, holte mehrere Titel als Staatsmeisterin und erreichte 2014 als zweite Frau in der Geschichte des Alpinismus den K2. Spätestens seit ihren ersten alpinistischen Versuchen 2009 in Nepal ist Tamara sich sicher: „Das ist das Leben, das ich will. Und nichts anderes“.

Stefan Rehm hat die Profi-Bergsteigerin getroffen. Im Interview spricht sie über die Faszination der Natur, ihre Leidenschaft zum Bergsport und über die Einsamkeit, die einen Bergsteiger in manchen Situationen begleitet.

Stefan Rehm: Hallo Tamara, ich habe eine ganz einfach Anfangsfrage. Wie stellst du dich normalerweise vor, wenn du einen Raum betrittst?

Tamara Lunger: Das hat mich auch noch niemand gefragt … Mir ist am liebsten, wenn mich niemand kennt und ich sage: Ich bin die Tamara! Weil so kann jeder wirklich dem Menschen begegnen und nicht der Bergsteigerin. Das ist das was mir taugt.

Stefan Rehm: Ich bin bei meiner Vorbereitung immer an einer ganz einfachen Frage hängen geblieben, die mir wie ein Ohrwurm immer wieder kam. Ich habe mich immer gefragt: Wieso steigen Menschen überhaupt auf Berge?

Tamara Lunger: Ich denke, es ist ein Weg, um einen Lebensweg zu gehen, der einen wachsen lässt, der einen sich kennenlernen lässt. Ich bin vollkommen überzeugt, dass für mich die Berge genau das richtige sind, denn ich kann heute noch auf dem Berg oben weinen, das erfüllt mich mit so viel Frieden und Freude. Was Schöneres gibt es nicht.

Stefan Rehm: Bergsteigen hat ja immer zwei Seiten: Einerseits ist es schön, aber es tut ja auch oft weh, ist eine Qual. Wie ist das bei Dir?

Tamara Lunger: Also weh tun, ja logisch manchmal. Ich liebe das auch. Ich habe viel Knieschmerzen, seit 17 Jahren, das hat mich immer begleitet. Und logisch hätte ich lieber keine Schmerzen, aber wenn ich in der Höhe bin habe ich weniger Schmerzen. Da bin ich einfach so drinnen im Aufstieg und im Berg, dass ich vielleicht dann dafür keine Zeit habe oder dem nicht so viel Aufmerksamkeit gebe.

Aber ich muss sagen: Ich hatte nie auf dem Berg einen Moment, wo ich mir gewünscht hätte, dass ich woanders wäre, in der warmen Stube oder in einem Bett, niemals, das hat es bei mir nie gegeben. Denn ich genieße jeden Schritt und jeder Schritt lässt mich ein Stück weit wachsen und mehr von mir erfahren und lernen.

„Diese Quälerei gefällt mir eben“

Stefan Rehm: Auch wenn du viele Tage unterwegs bist? Auch wenn es kalt und unfreundlich ist und du die ganzen Tage davor schon in den Beinen hast? Auch dann noch?

Tamara Lunger: Genau diese Quälerei gefällt mir eben. Komisch, aber ist so. Auch wenn es so kalt ist, auch wenn es nicht mehr schön ist, weil man kalte Finger und Zehen hat. Aber auch da, hab‘ ich nie daran gedacht, dass ich woanders sein will. Das gehört dazu. Die Herausforderung ist ja, komme ich heute wieder heil zurück?

Bei der letzten Expedition zum Beispiel sagt Simone [Moro; Anm. der Red.] zu mir: Tami, ich hab einen Vorschlag, kommst mit nach Sibirien. Da habe ich gleich gesagt: „Nein da bin ich nicht dabei.“ Da hat er mir aber noch Fotos gezeigt und dann hat mich das immer mehr fasziniert. Und habe mir gedacht, daran kann ich nur wachsen. Die Kälte ist ja irgendwo ein Feind. Aber man muss es so angehen, dass es einen nicht schädigt. Aber man weiß es im Vornherein nie. Und das ist wieder das Spannende. Man darf keine Fehler machen. Man versucht sich da so gut wie möglich durchzuschlagen. Und dann sieht man was dabei rauskommt.

Stefan Rehm: Du kommst ja aus dem Leistungssport. Würdest du sagen, das hat dir was geholfen für das Bergsteigen?

Tamara Lunger: Sicher, ja.

Stefan Rehm: Ist es für dich was Ähnliches? Beim Leitungssport kannst du ja immer Gas geben, wenn du nicht mehr kannst, setzt du dich halt einfach hin und es ist egal. Das ist bei 7000, 8000 Metern nicht mehr so.

Tamara Lunger: Ich glaube, was mir da zu Gute kommt, ist das Beißen und das Alles geben. Und du weißt einfach, wie funktioniert mein Körper, du weißt genau, wann ist er nah am Limit, was braucht er jetzt und das sind alles wichtige Sachen, die du in einer sportlichen Karriere lernst.

Wenn du am Berg in eine brenzlige Situation kommst, dann kannst du daraus schöpfen. Du weißt genau, ob das sich noch ausgeht oder nicht. Das Beißen und Alles geben das bringt schon was, wenn man es nicht übertreibt. Aber so gut sollte man sich schon kennen.

Am Berg muss man Situationen gut einschätzen können - auch die Kälte
Am Berg muss man Situationen gut einschätzen können – auch die Kälte. | Foto: Tamara Lunger

Stefan Rehm: Bergsteigen hat ja immer viel mit Kalkühl zu tun, mit Abwägung. Es geht darum, dass man die Situation kontrollieren und gut einschätzen kann. Wie gefährlich ist etwas, wie weit kann ich gehen? Aber andererseits gibt es ganz viele Bauchentscheidungen. War das was du lernen musstest im Laufe der Zeit oder war das schon immer da?

Tamara Lunger: Im Laufe der Zeit mit mehr Expeditionen, ist das immer mehr gewachsen. Meiner Meinung nach ist es daraus entstanden, weil ich mich einfach viel mehr mit der Natur verbunden habe. Und dann habe ich mich irgendwann anders gefühlt im Kontext Natur. Ich bin ein bisschen verschmolzen. Das ist schwierig zu beschreiben. Dieser Instinkt kommt wieder mehr zum Vorschein, weil man eben für eine lange Zeit für Monate in der Natur draußen ist und keine Ablenkung hat von Fernsehen, Medien, Telefon.

Und da ist man gezwungen mit sich selbst wieder zu sein. Das hat mich süchtig gemacht, das brauche ich und da lernt man sich richtig gut kennen, kann man sich selber besser einschätzen, und oft ist ganz stark der Bauch dabei. Ich denke auch, dass wenn ich in Gesellschaft im Stande bin auf das Bauchgefühl zu hören, dann wird das genau das Richtige sein.

Ich bin mir sicher, dass die Leute die hier leben es nicht einfach haben, weil sie ständig umgeben sind vom ständigen Trubel, dem Stress und der Leistungsgesellschaft, dass man keine Zeit mehr für sich hat. Das erhält man sich, wenn man sagt: So jetzt geh ich meditieren, spazieren, reiten, bergsteigen, wenn man seiner Passion nachgeht wo man total abschaltet.

„…Du fühlst dich so allein, wie ich mich noch nie in meinem Leben gefühlt habe“

Stefan Rehm: Es gibt beim Höhenbergsteigen immer diesen Moment, in dem man als Team unterwegs ist, dann schaut man wieder ganz auf sich selber, ist für jeden seiner Schritte selbst verantwortlich. Wie hast Du das wahrgenommen: Ist man da allein oder im Team unterwegs?

Tamara Lunger: Es ist ganz spannend. Ein Beispiel: Nanga Parbat, Lager 4, jeder wurde zu einem Tier. Jeder war total egoistisch. Mir ist es vorgekommen wie die Evolutionstheorie. Der Schwache muss liegen bleiben und der Starke geht. Für mich nicht so eine schöne Situation.

Wenn es zum Starten ging, sind wir auch alle unterschiedlich gestartet, nicht alle gemeinsam. Mir ist es dort sehr schlecht gegangen. Ich habe nur gekotzt. Wir sind alle zusammengestanden, aber niemand wollte das sehen. Jeder hat sich für sich selbst interessiert. Und was der andere hat, ist dem anderen wurst.

Und mir war auch total klar, dass ich selbst für mich verantwortlich bin vom Lager 4 bis zum Gipfel und wieder runter. Ich kann auf keine Hilfe hoffen und würde ich auch nie erwarten. Und da ist man sehr allein. Obwohl deine Kollegen 20 Meter vor und hinter dir gehen, du fühlst dich so allein, wie ich mich noch nie in meinem Leben gefühlt habe.

Stefan Rehm: War das bei allen Expeditionen oder ist das von Expedition zu Expedition verschieden?

Tamara Lunger: Von Expedition zu Expedition verschieden, weil nicht alles so am Limit ist. Wenn du auf den Berg gehst in der normalen Saison, dann wird das nie so gewaltige, schwierige Bedingungen haben, weil wenn schlechtes Wetter ist gehst du einfach nicht auf den Berg.

Im Winter ist die Voraussetzung einfach anders. Da musst du mit kälteren Temperaturen kämpfen und mit Wind und du weißt vom Kopf her, da hilft dir niemand, da kommt kein Hubschrauber. Wenn mir also irgendetwas fehlt, bin ich aufgeschmissen.

„Bei mir gab es nie den Zweifel, kann ich das was der Mann kann?“

Stefan Rehm: Eine Frage die du bestimmt schon oft beantwortet hast. Wieso gibt es im Höhenbergsteigen eigentlich so wenig Frauen?

Tamara Lunger: Ich denke die Frauen wachsen zum Großteil so auf, dass sie glauben, sie seien den Männern unterlegen.

Wenn ich Vorträge mach, kommen ganz viele Frauen und fragen: „Wie hast du den Mut aufgebracht.“ Ganz viele Frauen bewundern mich, weil ich den Mut habe. Wenn jemand zu mir sagt, du bist eine Extrembergsteigerin, dann gefällt mir das nicht. Weil ich das nicht als Extrem sehe, für mich ist das die große Leidenschaft und für mich ist das normal das zu tun. Deswegen, wenn Leute das als unmöglich sehen, dann sag ich: Nein, das könnte jeder.

Ich bin auch so aufgewachsen, mit zwei Schwestern und wir haben jeden Tag mit den Jungs am Schulweg gerauft. Sie haben nie gedacht, dass ich unterlegen bin. Bei mir gab es nie den Zweifel, kann ich das was der Mann kann. Na klar kann ich das! Ich kann die gleiche Verantwortung haben und habe die gleiche Entscheidungsfreiheiten. Ich sehe mich als eine von Ihnen. Der Bergsteiger hat für mich kein Geschlecht, weil wenn du das mit einem Mann machen willst, dann musst du auch meiner Meinung nach auf seiner Höhe sein.

„Der Gipfel ist das Tüpfelchen auf dem i“

Tamaras fröhliche Art ist auch im Interview sofort zu spüren.
Tamaras fröhliche Art ist auch im Interview sofort zu spüren. | Foto: Tamara Lunger

Stefan Rehm: Was bedeutet für dich eigentlich Erfolg?

Tamara Lunger: Bis vor kurzem war für mich Erfolg, auf dem Gipfel oben zu stehen. Aber die ganze Nanga Parbat Geschichte hat mich sehr viel reflektieren lassen und im Nachhinein sehe ich, dass der Weg das Ziel ist. Der Gipfel ist das Tüpfelchen auf dem i. Es sind die Abenteuer die du erlebst.

Es fängt schon mit dem Flug an, z.B. bei der letzte Expedition nach Sibirien, da war alles ein Abenteuer, wie kommen wir da überhaupt hin, die Verständigung mit den Russen und mit den alten Maschinen fliegen, wo du denkst, dass sie gleich abstürzt. Und 1000 Kilometer auf den Straßen fahren, wo alle 300 Kilometer ein Haus ist oder wenn das Auto kaputtgeht, und wenn du keinen Kocher hast und keinen Schlafsack, dann sterben da auch viele Menschen.

Das sind alles so Sachen, durch die du dazulernst und fremde Kulturen und Sprachen lernst. Das ist der Erfolg. Das kann dir niemand mehr nehmen. Aus dem kann ich schöpfen. In der Zukunft, sei es auf dem Berg aber auch im Leben.

Stefan Rehm: Also würdest du sagen, früher war Erfolg eher für dich, auf den Gipfel zu kommen?

Tamara Lunger: Erfolg ist eher die Leistung, ist man schneller, ist man höher oben, ist man die Jüngste.  Ja vielleicht ist das der Egotrip: ich will die Schnellste, Jüngste und so weiter sein. Und am Nanga Parbat ist aus dem Egotrip ein Seelentrip geworden. Und das ist eigentlich Erfolg, wenn du deinem inneren Instinkt wieder hast und dem genau folgen kannst, was dich immer ans Ziel bringt.

Stefan Rehm: Hat es deine Ziele überhaupt verändert? Du ja davor gesagt hast, eigentlich geht es ja um einen bestimmten Gipfel, der Jüngste auf dem Berg sein o.ä. und plötzlich geht es dir mehr um den Weg dahin. Das könnte ja auch deine Ziele verändern.

Tamara Lunger: Ich bin schon immer vom Herzen getrieben gewesen. Auch beim Lhotse als jüngste Frau, da hatte ich nicht daran gedacht, dass ich die Jüngste Frau sein könnte. Beim K2 hab ich auch nicht daran gedacht. Ich hab‘s einfach probiert. Das ist die große Herausforderung. Und ich weiß bis heute nicht wie viele Frauen ohne Sauerstoff da oben gewesen sind. Und das sind für mich so zweitrangige Sachen. Weil andere Sache für mich mehr zählen. Vielleicht ist es jetzt auch mehr der Drang Richtung Abenteuer, nicht mehr nur 8000, weil ich gesehen hab, was bei den 8000er für ein Theater ist in den Basislagern. Und darauf habe ich keine Lust mehr.

Stefan Rehm: Du erzählst bei Vorträgen oder in Filmen deine Geschichten immer wieder. Wie haben sich die Geschichten denn dadurch verändert?

Tamara Lunger: Ich glaub schon ein bisschen, weil man sich mehr auf das Wesentliche konzentriert. Wenn ich zum Beispiel jetzt das Tagebuch lesen würde vom Nanga Parbat, dann wäre das sicher nochmal ganz anders und ich würde mich wundern: Das hab ich dort gedacht und das ist da passiert?

Stefan Rehm: Tamara, vielen Dank für diese schöne Gespräch!

Video: Tamara Lunger im Bergzeit-Interview

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