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Mit Handicap hoch hinaus

Kinder mit Handicap beim Klettern: Interview mit Brigitte Dembinski

11 Minuten Lesezeit
Brigitte Dembinski ist Klettertrainerin und leitet in Weyarn zwei Klettergruppen für Kinder und Erwachsene mit Behinderungen. Wir haben uns mit ihr darüber unterhalten, welche Tipps sie für Kinder und ihre Eltern hat, um den Schritt in die Kletterhalle zu wagen und darüber, was sich noch alles ändern muss, um Klettern mit Einschränkungen zu erleichtern.

„Du schenkst, wir spenden“

Mit dieser Aktion unterstützte Bergzeit die H3-Klettergruppe des DAV Miesbach zu Weihnachten: Für jeden am 24.12.2021 gekauften Last-Minute-Gutschein spendete Bergzeit 10% des Gutscheinwertes an die Klettergruppe.

Schlussendlich rundete Bergzeit auf und übergab eine Spende von 1.000€ an die inklusive Kletterguppe.

Mit Hilfe dieser Spende können neue T-Shirts für die Gruppe angeschafft und ein Ausflug auf eine Berghütte ermöglicht werden. Nach einem weiteren schwierigen Pandemie-Jahr freut sich die Kletter-Gruppe darauf ganz besonders.


Interview mit Brigitte Dembinski

Jana Lickteig: Klettern ist schon für viele körperlich gesunde Menschen ein herausfordernder Sport. Warum sollten Menschen mit Handicap das Klettern trotzdem unbedingt ausprobieren? 

Brigitte Dembinski: Warum auch nicht? Personen mit Handicap möchten genauso behandelt werden wie jeder andere auch. Sie profitieren sehr vom Klettern, weil sie Vertrauen für den Sichernden und für sich selbst aufbauen müssen. Indem sie die ersten Züge machen, bekommen sie mehr Selbstvertrauen. Außerdem ist Mut gefordert – für Menschen mit Einschränkungen vielleicht sogar noch mehr als für gesunde Menschen.

„Meiner Erfahrung nach wachsen Kletterer mit Einschränkungen mit jedem Kletter-Meter.“

Die H3 Klettergruppe in Weyarn
Die DAV ausgebildete Klettertrainerin Brigitte Dembinski bei ihrem Herzensprojekt: Ihre Klettergruppe H3 in der Weyarner Kletterhalle. | Foto: Brigitte Dembinski

Was war Deine Motivation die Klettergruppe H3 zu gründen?

Es hat mich schon immer interessiert, wenn Menschen mit Einschränkungen Dinge machen, die im ersten Augenblick unmöglich erscheinen – das war für mich immer ganz toll. Jahre bevor die Ausbildung beim DAV zum Trainer C Klettern für Menschen mit Behinderungen angeboten wurde, habe ich Alexander Huber, einer von den Huababuam, gesehen, der in München mit Menschen mit Behinderung gearbeitet hat. Da war mir klar: „Das muss ich machen!“ Als die Ausbildung beim DAV angeboten wurde, habe ich sie sofort gemacht und war eine der ersten zwölf Personen in Deutschland, die die Ausbildung überhaupt bestanden haben. Im selben Jahr wurde in Weyarn die behindertengerechte Kletterhalle eröffnet. Somit war mir klar, dass ich die Klettergruppe in Weyarn machen werde.

Klettern mit Einschränkungen

Wie alt sind die Menschen, die zu Dir in die Klettergruppe kommen und welches Handicap haben sie?

Als ich mit meiner Klettergruppe anfing, war mir klar, dass ich nur eine Klettergruppe mit Erwachsenen machen würde, weil Kinder mit Handicap mich emotional sehr angreifen. Sehr schnell habe ich allerdings gemerkt, dass das nicht geht, weil Kinder einfach ihren natürlichen Bewegungsdrang haben und deshalb habe ich die zweite Klettergruppe – eben für Kinder – gegründet. Die Kinder sind zwischen neun und vierzehn, bei den Erwachsenen ist der Jüngste 30, der Älteste 60 Jahre alt.

Die Einschränkungen sind sehr vielfältig: Bei den Kindern sind einige mit Down-Syndrom und zwei mit Cerebralparese dabei. Die Kinder mit Down-Syndrom sind geistig eingeschränkt und oft überbeweglich. Unsere Kletterin mit Cerebralparese ist mehrfach körperlich beeinträchtigt, kann fast nicht gehen und hat eine Spastik an der Hand. Bei den Erwachsenen haben wir einige an Multiple Sklerose Erkrankte, einige geistig eingeschränkte Menschen, die zum Teil etwas übergewichtig sind, und Rollstuhlfahrer.

Wie unterscheidet sich Eure Klettergruppe zu Klettertreffs mit Personen ohne Behinderung?

Die H3 Klettergruppe in Weyarn
Der Spaß und das Gefühl, dazuzugehören, stehen im Vordergrund. | Foto: Brigitte Dembinski

In erster Linie geht es bei uns darum, nicht die hohen Schwierigkeitsgrade zu klettern, sondern Spaß zu haben – darin unterscheiden wir uns maßgeblich von anderen Klettertreffs. Spaß haben wir wirklich bei jedem Treffen! Ansonsten bin ich der Meinung, dass jeder, der den ersten Schritt macht und in der Halle steht, allein deshalb Herausragendes geleistet hat, weil er da ist.

Der Faktor Sicherheit steht natürlich bei jeder Klettergruppe im Vordergrund. Allerdings sehen unsere Kletterer nicht immer ganz die Wichtigkeit davon, richtig gesichert zu sein. Daher sind wir als Trainer gefordert, besonders genau zu kontrollieren, dass alle richtig eingebunden sind. Dafür sind immer zwischen fünf und sieben Trainer vor Ort. Außerdem musste ich erst lernen, wie wichtig es für diese Kletterer  ist, für alle absolut gleiches Equipment einzusetzen in Bezug auf Farbe, Marke und Form. Sonst wird schnell gefragt, ob zum Beispiel alle Gurte gleich sicher sind. Einige von unseren Kletterern legen sehr viel Wert darauf. Daneben ist ganz wichtig, dass immer die gleichen Betreuer da sind. Wechselndes Personal bedeutet immer eine Überwindung und einen Vertrauensschritt, bei dem die Kletternden wieder von vorne beginnen.

Spielen Wettkämpfe bei euch eine Rolle? Passen Wettkämpfe und vor allem Kinder mit Handicap zusammen?

Wettkämpfe sind natürlich immer eine Herausforderung. Die bringen wir durch Spiele ein und teilen dafür die Kletterer beispielsweise in zwei Gruppen ein. In unserer Klettergruppe ist sogar der Ex-Weltmeister im Paraclimbing von 2016, Korbinian Franck. Als Motivations-Kletterer kommt er fast zu jedem Treffen und zeigt, was er mit seinen Behinderungen bisher schon vollbracht hat. Wettkämpfe generell kann ich mir zwar vorstellen, allerdings muss man den irren zeitlichen Aufwand bedenken, der da dahintersteckt.

Hürden überwinden

Zurück zu den Schwierigkeiten bei der Entscheidung, überhaupt in die Kletterhalle zu gehen: Was ist die schwerste Hürde für Menschen mit Einschränkungen, in die Kletterhalle zu gehen?

Die eigene Entscheidungskraft und genügend Selbstvertrauen aufzubauen, in die Halle zu gehen, ist das Schwierigste. Bis man in die Halle geht, gilt es, Gedanken wie „Kann ich das? Bin ich der Schlechteste? Was sagen die anderen dazu?“ zu überwinden. Hat man sich einmal dazu durchgerungen, Klettern auszuprobieren und steht in der Kletterhalle, ist der Anfang gemacht. Viele Kletterer sagen dann: „Hey, das ist ja gar nicht so schlimm!“

Diese gedankliche Barriere habe ich selbst miterlebt: Für meine Prüfung zur DAV-Ausbildung, um Kletterkurse für Menschen mit Einschränkung geben zu dürfen, musste ich praktische Stunden mit Menschen mit Behinderungen abhalten. Dafür wollte ich mit jemandem klettern, der im Rollstuhl sitzt, kannte allerdings niemanden. Bei einem Stammtisch habe ich dann Matthias kennengelernt, mich mit ihm unterhalten und ihn gefragt, ob er mit mir klettern möchte. Er schaute mich nur an und fragte: „Sag mal, hast Du eigentlich etwas mit den Augen?“ Ich antwortete nur: „Nein, wieso – weil Du im Rollstuhl sitzt? Deshalb brauche ich Dich!“ Für ihn war die Vorstellung, dass Klettern funktioniert, wenn man im Rollstuhl sitzt, etwas völlig Neues. Diese ganzen Integrations-Gruppen sind erst jetzt im Kommen, aber vor ein paar Jahren gab es fast noch nichts in diesem Bereich und wir mussten ziemlich hartnäckig sein, um die Klettergruppe gründen zu können.

Wo siehst Du bei diesem Sport die großen Chancen für Kinder mit Handicap?  

Die Freude an der Bewegung und daran, etwas zu machen, was andere nicht machen. Kinder mit Einschränkungen möchten genauso dazugehören wie andere auch und Klettern ist da natürlich schon eine große Nummer.

Die H3 Klettergruppe in Weyarn
Kinder und ihr natürlicher Bewegungsdrang – beim Klettern toben die Kinder sich aus. | Foto: Brigitte Dembinski.

Was mich persönlich außerdem freut, ist der medizinische Aspekt: Wir haben beim Klettern nicht nur Spaß, sondern es formt den Körper so, dass selbst die Mediziner der jungen Kletterer bemerken, wenn mit dem Klettern für längere Zeit ausgesetzt wird. Als wir wegen des Coronavirus nicht klettern konnten, fragte mich die Mutter eines Jungen aus der H3-Klettergruppe, wann es endlich wieder losgeht. Der Orthopäde ihres Sohnes hatte festgestellt, dass die Muskulatur des Jungen durch das fehlende Klettertraining schwächer geworden war. Das regelmäßige Klettern trägt also auch dazu bei, dass Muskulatur aufgebaut wird, die für verschiedene Behinderungen wichtig ist.

Ab welchem Alter würdest Du Kindern mit Einschränkungen empfehlen, mit dem Klettern zu starten und welche Voraussetzungen müssen sie dafür erfüllen?

Es kommt natürlich immer auf das Kind selbst an, aber ich würde sagen, dass ein gutes Einstiegsalter mit acht Jahren ist. Die restlichen Anforderungen, beziehungsweise die Frage danach, was das Kind können muss, sind schwierig zu Papier zu bringen. Ganz wichtig ist, dass sie eine Rumpfstabilisierung haben. Zwar gibt es Möglichkeiten, das Kind mit einem speziellen Klettergurt zu stützen, wenn es keine Rumpfstabilisierung hat, aber die Erfahrung hat mir gezeigt, dass das schwierig umzusetzen ist.

„Die Kinder, die klettern möchten, sollten es einfach ausprobieren. Gemeinsam können wir dann entscheiden, ob es geht oder nicht.“

Welche Bedeutung hat für Dich das Wort „Grenze“?

Ich bin mir sicher, dass es Grenzen gibt. Bisher habe ich immer versucht, die Grenzen, die ich mir gesteckt habe, zu überwinden. Bei der Klettergruppe H3 gibt es Grenzen, bei denen Klettern nicht möglich ist. Da muss dann auch ganz klar formuliert werden: „Es tut mir Leid, aber es geht nicht.“ In diesem Fall sind dann leider sowohl mir als auch der Person, die Einschränkungen hat, Grenzen gesetzt.

Die H3 Klettergruppe in Weyarn
Kletterer mit Einschränkungen wachsen nach Brigitte Dembinski mit jedem Meter. | Foto: Brigitte Dembinski

Was muss sich bei den Kletterhallen verändern, um Menschen mit Handicap den Einstieg ins Klettern zu erleichtern?

Der Zugang zur Halle muss behindertengerecht sein – dazu zählen auch behindertengerechte Parkplätze. Außerdem muss es barrierefreie Toiletten geben und eine Umkleidehalle, in der sich alle frei bewegen können. Ein Rollstuhlfahrer zum Beispiel braucht einfach mehr Platz, um sich mit der Hilfe eines anderen umziehen zu können.

An der Wand selbst muss ein ganz anderer Routenbau erfolgen. Um beim Rollstuhlfahrer zu bleiben: Er klettert ja nur mit den Händen, daher sind Griffe, die zwar nicht zu groß sind, aber trotzdem eine Schüsselform haben, sehr wichtig. Wären die Griffe zu groß, würde er mit den Knien oder Füßen hängen bleiben, wenn er die Stelle passiert hat. Für jede Behinderung gibt es einige Besonderheiten zu beachten und nicht alle können die herkömmlichen Routen klettern.

… und in den Köpfen der Menschen, die keine Einschränkungen haben? 

Ich bin immer für Austausch. Was würde sich eine gesunde Person wünschen, wenn sie in der anderen Position wäre? Akzeptanz! Ablehnendes Verhalten habe ich noch nie erlebt, Berührungsängste gibt es aber natürlich schon. Oft kommt auch die Frage: „Was macht ihr da?“. Ich antworte dann immer: „Klettern!“. Dazu kommt, dass Menschen mit Behinderung oft sehr klar und direkt kommunizieren, denn sie haben keine Berührungsängste. Mit dieser direkten Art muss man auch erst lernen, umzugehen.

„Es ist schön, wenn man lernen kann. Manchen ist die Möglichkeit nicht gegeben.“

Ein besonders schönes Erlebnis hatten wir einmal beim Klettern bei Sonnenuntergang in Weyarn. Wir hatten schon länger einen Kletterer beobachtet, der im Schwierigkeitsgrad 8 und 9 unterwegs war, und von dem wir wirklich begeistert waren. Dann ist Matthias, unser Rollstuhlfahrer, an die Wand. Als er wieder unten im Rollstuhl saß, kam dieser irre Kletterer her und meinte: „Was du machst, könnte ich nie.“ Dabei hatte der Kletterer ja Recht und endlich war jemand da, der Matthias sagte, dass er Außergewöhnliches leistet. Für Matthias war das ein sichtlicher Wachstumsschub und hat ihn mit Recht stolz gemacht!

Die H3 Klettergruppe in Weyarn
Ein Wunsch von Brigitte: Mehr Flexibilität und Selbstständigkeit beim Klettern mit Handicap. | Foto: Brigitte Dembinski

Was wünschst Du Dir im Bereich Bergsport allgemein in Hinblick auf Inklusion?

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir alle zusammen einmal auf eine Hütte gehen könnten. Dafür müssen aber natürlich die Gegebenheiten vor Ort passen. Das zweite, das ich mir wünsche, ist eine Art Kletterpartnerbörse. Menschen mit Behinderung können nicht sichern, daher muss der Sichernde auch sagen: „Ok, ich sichere und klettere in diesem Moment eben nicht.“ Mehr Flexibilität und Selbstständigkeit wären ein toller Schritt für unsere Kletterer.

Welche Tipps hast Du vor allem für die Eltern von Kindern mit Handicap, die sich das Klettern für ihre Kinder aus finanzieller oder logistischer Sicht nicht leisten können?

Zum Finanziellen: Meine Klettergruppe wird vom Förderverein „Aufwärts“ unterstützt und wir haben auch immer wieder Sponsoren. Das heißt, es fällt nur ein Bruchteil des Eintrittspreises an und das Material wird gestellt. Für mich persönlich ist daneben wichtig, dass die Kinder Mitglied beim DAV sind, um darüber versichert zu sein. Zum Logistischen: Das Kind muss natürlich zum Klettern gebracht werden, aber mit Fahrgemeinschaften oder ähnlichem ist das Logistische handelbar, wenn man wirklich möchte, dass das Kind zum Klettern kommt.

„Es findet sich ein Weg. Immer und irgendwo.“

Kindern fällt es grundsätzlich leichter, in die Halle zu gehen. Oft hängt es an den Eltern, wenn es mit der Klettergruppe für das Kind nicht klappt, denn sie müssen den Mut aufbringen, ihr Kind in die Kletterhalle zu schicken. Natürlich gibt es auch Kinder, für die sich das Klettern nicht eignet, aber das muss man im individuellen Fall entscheiden. Ansonsten kann ich den Eltern eigentlich nur mitgeben, dass sie mit ihren Kindern sprechen, ob sie sich gerne bewegen möchten oder nicht. Ihnen das Leben zeigen, wie es sein kann und einfach mal mitkommen, um sich die Klettergruppe anzuschauen.

Danke für Deine Zeit und das Gespräch, Brigitte.

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