Du hast in einem Interview mal gesagt „Ich bin keine Heldin und keine Alpinistin“. Wie würdest Du dich selbst beschreiben?
Ich bin einfach nur eine Frau, die wahnsinnig gerne in die Berge geht, Bergausdauersport macht und gerne schnell unterwegs ist. Und die auch dort gerne mal an ihre Grenzen geht, aber ich bin niemand, der riesengroße hochalpine Erfahrungen mitbringt.
Du hast gerade schon gesagt, dass du gerne schnell unterwegs bist und bezeichnest Berglaufen und Skibergsteigen als deine Leidenschaften. Was fasziniert dich an diesen beiden Sportarten so?
Wirklich Laufen, kann ich nach meinem Unfall ja nicht mehr, aber Speedbergsteigen. Und da faszinieren mich mehrere Punkte: Zum einen, dass ich am Berg bin und zum anderen, dass ich mit jedem Schritt unsere heutige Überkommunikationswelt im Tal lasse. Ich denke mir zwar manchmal, dass ich einfach nur entspannt gehen möchte, aber dann merke ich, wie gut es mir tut, wenn ich mich auspowere, alles rausschwitze und ganz bei mir und der Natur bin. Das Schönste beim Speedbergsteigen ist für mich aber, oben anzukommen und die Zeit am Gipfel zu genießen.
Vielleicht auch eine Art der Meditation durch die Bewegung?
Absolut! Alleine zu gehen, in den eigenen Atem zu kommen, sich selber zu spüren. Ich würde nie mit Musik oder so laufen, ich will einfach die Natur hören und alles wahrnehmen. Für mich ist das zu 100 Prozent meine Art der Meditation. Meditation passiert für mich nicht unbedingt nur in Ruhe, dabei werde ich innerlich oft auch hibbelig, sondern in Bewegung, in der Natur.
Frauen im Bergsport
Um noch einmal zum Thema Heldin zu kommen. Im März haben wir eine Kampagne hier bei Bergzeit gestartet: die Bergzeit Bergheldin. Damit wollen wir Frauen im Bergsport eine Plattform geben und sie fördern. Wann hast Du Dich als Frau im Bergsport schon einmal benachteiligt gefühlt? Nicht nur durch andere, sondern vielleicht auch durch den weiblichen Körperbau?
Ich glaube, da bin ich überhaupt nicht anfällig, weil ich mir denke „Mach du doch nur!“. Ich kann sehr gut akzeptieren, wenn Männer am Berg schnell sind. Da ist einfach jeder wie er ist und ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man das auch so annimmt. Es gibt für jede Person und jeden Körperbau die richtige Sportart. Es gibt nicht nur den Unterschied zwischen Männern und Frauen, auch wir Frauen untereinander sind ganz verschieden. Mein Körper ist relativ leicht, deswegen fällt mir auch schnelles bergauf gehen leicht, das ist bei jemand anderem zum Beispiel nicht so. Dafür bin ich in Bezug auf Kraft eine totale Null.
Worin siehst du die Stärken von Bergsportlerinnen?
Vor meinem Unfall habe ich mir schon öfter gedacht, dass ich mir als Frau nicht zutraue am Berg zu sagen, wenn ich etwas nicht machen möchte. Da hatte ich das Selbstbewusstsein dazu noch nicht. Doch ich habe jetzt gelernt auf mein Bauchgefühl zu hören. Und das ist meiner Meinung nach eine Stärke von uns Frauen. Wir haben ein richtig gutes Bauchgefühl. Hört auf dieses Gefühl, euren Instinkt, dann macht ihr das Richtige! Und es ist eine Stärke, wenn man sagt, dass man etwas nicht machen möchte. Keine Schwäche.
Muss sich aus deiner Sicht etwas im Bergsport und der Rolle der Frau im Bergsport verändern – und wenn ja, was?
Weil ich in diesem Zusammenhang wirklich keine Feministin bin, muss sich aus meiner Sicht nichts ändern. Denn es gibt ganz viele tolle Frauen, die am Berg richtig coole Sachen machen und es gibt auch viele Dinge, wo man bei einer Frau sagt: „Cool, dass du das machst!“ Und bei einem Mann sagt man gar nichts mehr, weil es selbstverständlich ist, dass er das macht. Deshalb finde ich nicht, dass heute die Rolle der Frau am Berg negativ oder schlecht ist. Ich finde, dass Frauen öfter für ihre Leistungen gewürdigt werden.
Hast Du schon mal beobachtet, dass Sportlerinnen/Athletinnen in der medialen Berichterstattung anders dargestellt werden?
Ich glaube eigentlich, dass es für Frauen am Berg oft leichter in der medialen Berichterstattung ist, weil sie gefühlt weniger tun müssen, um Anerkennung zu bekommen. Männer müssen dagegen schon krass verrückte Sachen machen. Deswegen finde ich das bei Frauen schön, dass wir schneller respektiert werden. Das ist vernünftiger.
Wie siehst Du Deine Rolle als (starke) Bergsportlerin gegenüber anderen Frauen? Empfindest Du eine Art Verantwortung ihnen gegenüber?
Wie gesagt, ich möchte keine Heldin sein. Denn ich bin der Meinung, dass wir alle einmal Heldinnen im Leben sind. Ich möchte Frauen ermutigen und inspirieren, dass man als Frau auch mal alleine in die Berge gehen kann, dass man Spaß hat, dass man raus geht und sich vor allem die Zeit für sich nimmt. Und dass man einfach macht und nicht untergeht. Häufig nimmt man sich als Frau als Mittelpunkt der Familie zurück und ich möchte zeigen, dass man sich trotz Kindern Bergzeit nehmen kann – ob allein oder mit Kind. Und dass man sich trotzdem sportliche Ziele setzen kann, aber eben jeder so, wie es passt. Ob das 3.000 oder 300 Höhenmeter sind. Für mich ist es auch nicht immer leicht mir die Zeit abzuzwicken, aber es lohnt sich in jedem Fall.
Glaubst du, dass es dafür auf jeden Fall weibliche Vorbilder braucht?
Ja, ich glaube schon, dass Frauen den Austausch mit anderen Frauen brauchen. In manchen Situationen brauchen Männer männliche Vorbilder und Frauen weibliche.
„Ich möchte meinen Zuhörerinnen vermitteln, dass sie an sich glauben dürfen.“
Du bist für viele Menschen dieses Vorbild und der Inbegriff einer „Bergheldin“ – eine, die sich nach einem schlimmen Schicksalsschlag zurück ins Leben gekämpft hat. Nervt es Dich, dass sich die meisten Interviews fast immer nur um Deinen Unfall drehen?
Nein, es nervt mich nicht, es ist einfach ein Teil von mir. Aber ich möchte nicht darauf reduziert werden. Dann nervt es mich. Manchmal ist es für mich ein Sprungbrett und ich kann durch meine Geschichte anderen mehr Selbstvertrauen vermitteln.
Ist das auch der Antrieb, weshalb du heute als Vortragsrednerin arbeitest?
Ja, total. Ich möchte meinen Zuhörerinnen vermitteln, dass sie an sich glauben dürfen und vor allem sollen. Und dass jeder Mensch bereits in sich trägt, was er oder sie zum Leben braucht. Egal wie groß die Herausforderung ist, vor der man gerade steht. Ich möchte mich auch nicht hinstellen und sagen „Ich habe das so toll gemacht!“. Nein! Jeder hat seine eigenen Herausforderungen und seinen Weg zu gehen und da braucht man auch keine Vergleiche ziehen. Und ich würde einfach gerne vermitteln, dass man dann genau in dieser Situation Mut und Kraft immer auch in sich selbst finden kann.
Welche Tipps gibst du heute Menschen, die einen Schicksalsschlag erlebt haben?
Mein Motto ist „Fight. Smile. Love“. Klingt im ersten Moment vielleicht abgedroschen, aber im Endeffekt geht es mir darum, Lebensmut und Optimismus zu vermitteln und dass jeder hinter sich selbst stehen kann und auch soll.
Du bist sehr offen mit deinem Unfall umgegangen und hast unter anderem Deine Fortschritte in der Reha öffentlich geteilt. War das für Dich eine Form der Selbsttherapie oder wolltest Du da schon anderen Mut machen?
Das habe ich damals eigentlich gemacht, weil es sich richtig angefühlt hat. Ohne viel darüber nachzudenken. Auf der einen Seite hat es mir selbst Mut gemacht, wenn Feedback und Zuspruch kam und im gleichen Zug habe ich gemerkt, dass ich helfen kann und dass mir sehr viele Verletzte und Verunfallte geschrieben haben, dass sie mein Weg inspiriert. Und weil ich nicht mehr laufen konnte, habe ich im Krankenhaus angefangen alles abzutippen. Daraus ist dann mein Buch geworden. Bis heute bekomme ich dazu täglich Feedback und ich finde es total schön, dass sich daraus etwas Positives ergeben hat, das ich weitergeben kann.
Muttersein und sportliche Ziele
Du bist zweifache Mutter – sicherlich eine große Veränderung in Deinem Leben. Welche Auswirkungen hat das Muttersein auf Deine sportlichen Ziele bzw. Deine Risikobereitschaft?
Es hat sich schon extrem verändert. Es gibt keine großen Ausflüge mehr und die Zeit am Berg ist jetzt einfach wahnsinnig begrenzt. Jetzt erklimme ich halt x-mal den gleichen Berg, aber es ist immer noch genauso schön. Vielleicht auch, weil meine Bergzeit jetzt so viel kostbarer ist. Das kann ich jetzt wirklich gut annehmen.
Hättest du es vorher nicht annehmen können?
Da hat mir mein Unfall ja bereits einen Dämpfer verpasst. Ich bin im Sommer ja relativ begrenzt, da ich nur auf Berge zu Fuß gehen kann, wo ich mit der Bahn runterfahren kann. Im Winter ist das anders. Aber ich habe gelernt zu akzeptieren, dass nicht mehr alles einfach möglich ist. Durch das Muttersein habe ich noch einmal mehr Demut und ein anderes Bewusstsein für die Zeit am Berg bekommen. Bergzeit ist verdammt kostbar.
Das Motto unserer Kampagne ist ja „Du bist eine Bergheldin. Immer.“ Hast du noch etwas, dass du Frauen und anderen Bergheldinnen mit auf den Weg geben willst?
Schönes Motto und wenn jede eine Bergheldin ist, kann ich auch eine sein. Mitgeben möchte ich nur: Geh raus und genieß die Zeit! Dann bist Du immer eine Bergheldin, weil Du dann auf Deinem Weg bist und der ist immer gut – eben weil es Dein Weg ist.
Weitere Beiträge zum Thema Frauen im Bergsport
- Interview: Gela Allmann über den Skitourenrennsport
- Wie entsteht ein Trailrunning-Outfit? Ein Gespräch mit Sibylle Egele von Dynafit
- Interview mit Bergführerin Julia von der Linden
- Machen Frauen anders Bergsport als Männer?
- Yoga für Bergsportler: 10 Übungen zum Mitmachen
- Core-Training für Kletterer und Boulderer