
Was das Besondere an den Pause-Touren sein soll, war mir zu Beginn meiner alpinen Kletterkarriere nicht ganz klar. Dass aber die geplante Tour durch die Fehrmannverschneidung am Campanile Basso eine super Linie ist, die man klettern muss, erkannte ich damals schon als Novize. Es blieb bei dem Trip; das war die einzige Pause-Tour in der Brenta, da wir an der Cima d’Ambiez die falsche Tour wählten und in die Via della Soddisfazione statt in die Via della Concordia einstiegen. Was aber dem Spaß und der Schönheit keinen Abbruch tat. Eigentlich sind damit die Hauptmerkmale einer Pause-Tour schon genannt: schöne, alpine Linien oder Wände, die ins Auge stechen – auch wenn es daneben noch viele weitere Touren in der gleichen Liga gibt, die ebenso schön sind!
Die legendären Touren von Walter Pause
Sie waren Marksteine des alpinen Kletterns – die damals 100 anspruchsvollsten Touren, welche Walter Pause 1970 in der ersten und 1977 in der zweiten Auflage der inzwischen raren Kletterbibel „Im extremen Fels“ zusammengestellt hat. Und die Touren sind auch 2016 alles andere als verstaubt – so wie vielleicht der ein oder andere Kletter-Schmöker auf dem Speicher. Im Gegenteil: Viele der Pause-Touren sind nach wie vor begehrt, und manch eine wird vermutlich nur deshalb begangen, weil sie sich unter diesen magischen 100 befindet.

Ausnahmen sind jene Touren und Wände, welche sich ins Tal verabschiedet haben, wie zum Beispiel die Bonatti an der Dru. In der Neuauflage von „In extremem Fels“ kommen daher auch Neoklassiker wie etwa die „Gloria Patri“ am Hochkönig zu der Ehre, mit aufgenommen zu werden. Viele der Touren wechselten mit den Jahren ihren Charakter, indem nun glänzende Bohrhaken für plaisierähnliche Verhältnisse sorgen. Doch die meisten Pause-Touren haben ihre Eigenarten bewahren können. Über den ganzen Alpenbogen verteilt behalten zahllose, vor sich hinrostende Normalhaken ihre Berechtigung, da sie den Weg der Pause-Touren aufzeigen und nur durch verschiedenste mobile Sicherungsmittel der jeweils aktuellen Ära ergänzt wurden.
40 Jahre später: Die Neuauflage
Leider waren viele Alpinkletterer oftmals zu langsam. Nicht in den Wänden, sondern bei der Auswahl der richtigen Literatur. Denn wer noch eine der seltenen ersten oder zweiten Ausgaben von „Im extremen Fels“ zu Hause im Regal stehen hat, darf sich glücklich schätzen. Für den Rest der Kletterer bleiben nur die Auflistungen im Internet oder mühsam erstellte Kopien übrig. So dürfte die Freude der Nachwelt über die Vorankündigung einer dritten Neuauflage im Panico-Verlag riesig gewesen sein. Spannend war vor allem, in welchem Gewand sich die fast 40 Jahre später erscheinende Ausgabe kleiden wird.

Mit Spannung und Vorfreude blättere auch ich zu Hause durch mein druckfrisches Exemplar. Sicherlich ist es ein anderer Charme, als wenn man ein altes, abgegriffenes Buch durchblättert, doch es macht trotzdem Spaß! Die Aufnahmen der Wände von Jürgen Winkler sind teilweise die gleichen wie aus den vorhergehenden Ausgabe, teilweise auch neue. Oft erschließen sich die Linien in Kombination mit den rudimentären, an die alten Auflagen angelehnten Routenskizzen bereits von alleine. Das ursprüngliche Layout bleibt erhalten. Die Erfahrungsberichte des Autors Christoph Klein sowie anderer Kletterer werden kombiniert mit einer kompakten Infobox, die alles Wesentliche zusammenfasst.
Aktualisierte Infos zu den Pause-Touren und Online-Topos
Ein großes Plus der Neuauflage von „Im extremen Fels“ sind die aktualisierten Infos, die den aktuellen (Sanierungs-) Zustand der Touren von Walter Pause beschreiben. Auch die früheren, technischen Passagen bekommen nun eine Bewertung im freien Stil.
Was fehlt noch? Der von detailtreuen Topos verwöhnte Abenteurer darf sich nicht von den nostalgisch anmutenden Skizzen irritieren lassen. Er sollte einfach den im Buch beschriebenen Downloadlink besuchen. Hier lassen sich alle Topos zu den 100 aufgeführten Touren in einem PDF herunterladen. Um den abenteuerlichen Charakter zu bewahren, umspannt die Sammlung eigene Panico-Topos wie auch handskizzierte Topos oder Verlinkungen auf andere Seiten. Trotz allem bleibt ein Ost-West-Gefälle bezüglich der verfügbaren Informationen weiterhin erhalten, welches insbesondere in der Dauphiné sein Mini- bzw. Maximum erreicht. So sind die Informationen zu den großen Wänden um den Glacier Noir weiterhin dürftig und das Abenteuer dort groß.
Von gruselig bis Plaisir
Die dazugehörigen Texte bestehen aus einer Mischung von eigenen Erfahrungen des Autors, den Erfahrungen anderer Kletterer sowie Eindrücken aus den abenteuerlichen Zeiten der Originalausgabe. Sie geben einen ganz guten Eindruck dessen, was potenzielle Wiederholer erwartet. Lediglich betont lässige Kommentare im Bloggerstil sind nicht nach meinem Geschmack. Diese halten sich aber in Grenzen. Meist treffen die Kommentare die Realität ganz gut. „Wenn man am Einstieg hochschaut, möchte man gleich wieder gehen“, wird zum Beispiel der Einstieg der Geraden Nordostwand der Großen Ochsenwand/Kalkkögel beschrieben. Stimmt. Im Gegensatz dazu steht der Kommentar für die große Verschneidung der Direkten Südwand am Mühlsturzhorn/Reiteralp: „Idealkletterei, da flippste aus!“ Stimmt auch. Und im Zweifel hilft die folgende Strategie bei allen Touren weiter: „Wenn ich der Erstbegeher wäre, wo würde ich dann gehen?“ Dieser Satz beschreibt das Tolle an allen Pause-Routen: klassische Kletterei an logischen Linien durch große Wände von gruselig bis Plaisir.
Fazit zur Neuauflage des Kult-Kletterführers „Im extremen Fels“
Mit diesem Buch an Bord kommt bei einem Kletterurlaub so schnell keine Langeweile auf! Meine Erfahrung bislang: Egal in welchem Gebiet man landet, die Walter-Pause-Touren sind immer eine gute Wahl. So nutzten wir beispielsweise ein zwei-Tage-Fenster im fernen Osten, um dort alle vier Touren im Gesäuse und am Hochschwab zu klettern und dann die folgenden, unbeständigen Tage in den Adlitzgräben zu verbringen. Volles Kontrastprogramm!
Zusammenfassend ist diese dritte Auflage von „Im extremen Fels“ in einem neuen Gewand eine gelungene und empfehlenswerte Bergliteratur. Vor allem die aktualisierten Infos mit der Toposammlung sind den Preis der Standardausgabe von 48 Euro auf jeden Fall wert. Übrigens kostete die erste Auflage 1970 genau 49 DM!
- Zum Buch: Im extremen Fels von Christoph Klein und Jürgen Winkler (Panico Verlag)
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