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Mit Jeans und Steigeisen

Bernd Kullmann im XXL-Interview: Die drei Säulen des Mr. Deuter

17 Minuten Lesezeit
In Jeans auf den Everest, ein schwerer Kletterunfall am Battert, 28 Dienstjahre beim Rucksack-Hersteller Deuter: Spannende Berg-Geschichten hat Bernd Kullmann genug auf Lager. Judith Hackinger traf den ehemaligen Deuter-Geschäftsführer zum Interview.

Bernd Kullmann: „Ich hatte immer die Herausforderung, dass ich Familie, Beruf und Sport unter einen Hut bringe, und ich habe immer gesagt, das sind die drei wichtigen Säulen in meinem Leben und ich möchte keine davon vernachlässigen.“ Bernd Kullmann brachte in 28 Dienstjahren den Gersthofener Rucksackhersteller Deuter in die Pole-Position am deutschen Rucksackmarkt. Er gilt als Branchen-Experte und Szenekenner, der die Höhen und Tiefen des Bergsteiger- und Kletterlebens am eigenen Leib erfahren hat. Vor dem Interview mit Mr. Deuter wurde ich gewarnt: Es gäbe Geschichten für mehr als einen Abend – Grund genug für uns, im XXL-Interview die eine oder andere Frage mehr zu stellen.

Bernd Kullmann im Interview

Judith Hackinger: Das Gleichgewicht zwischen Sport, Beruf und Familie schafft nicht jeder. Wenn ich in allen drei Bereichen Erfolg haben will, worauf muss ich acht geben?

Bernd Kullmann | Foto: Archiv Kullmann
Bernd Kullmann: Kletterlegende, Deuter-Frontmann, Lebemann und Outdoorfreak – ein Mann mit vielen Seiten und noch mehr spannenden Geschichten. | Foto: Archiv Kullmann

Bernd Kullmann: Zunächst braucht es eine tolerante Familie. Wenn die Familie sagt, du verbringst deine ganze Freizeit mit uns, dann geht so was nicht. Da hatte ich Glück, aber ich habe meiner Frau auch von Anfang an gesagt, dass ich kein Stubenhocker werde. Wenn es dann mal gekrieselt hat, hat auch meine Schwiegermutter zu ihr gesagt, „du hast gewusst, wen du heiratest“.

Was hat es von Dir erfordert?

Bernd Kullmann: Eine sehr konsequente Zeiteinteilung, die ich ganz gut hinbekommen habe. Ob die Balance immer aus Sicht der Familie gestimmt hat, möchte ich nicht mal sicher behaupten. Ein gewisser Egoismus war sicherlich da, aber ich habe wirklich die Zeit, die ich hatte, konsequent verplant. Es gab keine Tage, an denen ich gar nichts machte.

Klingt aber auch nach einem sehr unruhigen Leben, vor allem, weil Du ja durch Deinen Job bei Deuter viel beruflich im Ausland warst …

Bernd Kullmann: Ein Kumpel von mir hat mal gesagt: „Du bist ein Workaholic und ein Climbaholic.“ (lacht) Bis ich vor fünf Jahren angefangen habe, ruhiger zu werden – man spürt natürlich das Alter – hat das sicher zugetroffen. Ich habe immer versucht, möglichst viel in meine Stunden und Tage reinzubauen bzw. teilweise reinzupressen. Wenn sich bei Asienaufenthalten sonntags die Gelegenheit ergab, bin ich auch in Korea zum Klettern gegangen. Selbst in Hongkong haben wir eine Insel gefunden, auf der es Felsen gibt.

Wie sah ein „normaler“ Tag von Bernd Kullmann zuhause aus?

Bernd Kullmann: Ich bin teilweise um vier Uhr morgens aufgestanden, um auf Skitour zu gehen. Mittags saß ich dann wieder am Schreibtisch, hatte nur einen halben Tag Urlaub verbraten und war dafür im Kopf völlig klar und kreativ. Natürlich haben viele gesagt, „du hast einen vollen Vogel“. Mir hat es Spaß gemacht und es soll ja jeder so leben, wie es ihm Freude macht. Ich mochte das schnelle, dynamische Leben. Auch wenn ich mit meiner Frau unterwegs war, bin ich oft sehr früh raus auf Skitour, um mittags wieder da zu sein und gemeinsam mit den Kindern Piste zu fahren. Abends dann noch in die Sauna, das war durchaus normal.

Das heißt man braucht viel Energie?

Bernd Kullmann: Ja, die habe ich gebraucht. Bis vor wenigen Jahren hatte ich einen ständigen Drang etwas zu machen. Mittlerweile bleibe ich auch mal einen Tag zuhause bei meiner Familie am Wochenende. Vor zehn Jahren wäre das völlig undenkbar gewesen. (lacht)

Wenn man über Dich recherchiert, stößt man auf die Geschichte vom Everest und der Jeans. Es heißt, du hättest am höchsten Berg der Welt einfach die lange Unterhose vergessen. Stimmt das?

Bernd Kullmann: Ja, das stimmt. Ich war damals im Lager 2 auf 6.500 Meter, hatte Halsweh bekommen und den Gipfel schon abgeschrieben. Hans Engl aus unserer ersten Gipfelgruppe hat mich schließlich über Funk motiviert. Ich hatte daraufhin spontan beschlossen, doch ins Lager 3 aufzusteigen und den Gipfel zu probieren. Und durch die Hektik beim Packen habe ich eine ganze Menge vergessen.

Du warst der jüngste Europäer am Everest und bist wohl auch im „Rekordtempo“ aufgestiegen. Was zählt so ein Rekord damals und heute?

Bernd Kullmann: Damals null. Das hat kein Schwein interessiert! Auch mich nicht. Georg Ritter kam mir am Hillary-Step entgegen, es waren sehr stürmische Bedingungen, und brüllte mir ins Ohr: „Mensch, du warst ja wahnsinnig schnell! Nur 51/4 Stunden unterwegs, das ist neuer Rekord“. Messner und Habeler waren damals sechs Stunden unterwegs und ebenso wie Reinhard Karl und Oswald Ölz von der Südseite aus. Trotzdem hat die ganze Everest-Geschichte niemanden so richtig interessiert. Heute wäre das ein Riesenthema, wobei gerade die Sherpas heute noch viel schneller dort hochsteigen.

Was ist heute anders?

Bernd Kullmann: Heute vermarkten sich die Bergsteiger selbst viel intensiver. Jeder hat seinen Blog und tingelt auf Facebook herum – das gab es damals nicht. Aber wir haben das auch nicht gemacht, um Geld zu verdienen. Als Student hatte ich mit Vorträgen gerade genügend Kohle verdient, um im Sommer zwei, drei Monate Bergsteigen zu können. Ich wurde von irgendeiner Alpenvereinssektion gefragt, ob ich Lust habe etwas zu machen, und ich hab gesagt: „Okay, was zahlt ihr?“ Darüber hinaus war einfach kein Interesse da, weder bei uns, noch bei den Zuhörern.

„Für mich war das ein Riesen-Teamerfolg, denn Bergsteigen – vor allem Expeditionsbergsteigen – ist einfach ein Teamsport“

Was ist Dir von Deiner Everest-Expedition am meisten im Gedächtnis geblieben?

Bernd Kullmann: Das schönste an dieser Expedition war, dass wir keinen Unfall hatten. Alle Expeditionen zuvor haben meines Wissens Tote im Khumbu-Eisbruch gehabt. Wir hatten keine Probleme, keine Erfrierungen, nichts. Alle sind gesund wieder nach Hause gekommen und wir waren bis dahin die erfolgreichste Expedition an einem Achttausender überhaupt. Es war eine deutsch-französische Gemeinschaftsexpedition, 16 Leute am Gipfel, darunter drei Sherpas. Für mich war das ein Riesen-Teamerfolg, denn Bergsteigen – vor allem Expeditionsbergsteigen – ist einfach ein Teamsport. Aber selbst das wurde nicht kommuniziert.

Ist das heute zu einer Jedermanns-Sache geworden?

Bernd Kullmann im Jahre 1988 am Shisha Pangma in Tibet. Hier hat er mal keine Jeans getragen, wie zehn Jahre zuvor am Everest! | Foto: Archiv Kullmann
Bernd Kullmann im Jahre 1988 am Shisha Pangma in Tibet. Hier hat er mal keine Jeans getragen, wie zehn Jahre zuvor am Everest! | Foto: Archiv Kullmann

Bernd Kullmann: Ich denke, man muss schon noch eine gewisse körperliche Fitness mitbringen. Man braucht die Zähigkeit und Härte, die Leidensbereitschaft… Ein guter Bekannter von mir, der Robert Bösch, war vor 13 Jahren am Everest, um für den „Blick“ (Anm. d. R.: Schweizerisches Boulevardblatt) den Aufstieg der Evelyne Binsack zu dokumentieren, die erste Schweizer Frau am Everest. Danach hat er zu mir gesagt: „Du kannst dir nicht vorstellen, wie das heute abläuft: Du kommst ins Hochlager, da sind die Zelte aufgebaut, das Wasser kocht schon und die Luftmatratze ist aufgeblasen, tragen musst du auch nichts mehr!“

Wie war das 1978?

Bernd Kullmann: Wir haben damals noch Lasten geschleppt, weil wir kaum Sherpas hatten. Ich bin sieben Mal durch den Khumbu gegangen, jedes Mal mit 15 Kilo, fünf Mal ins Lager 2, drei Mal ins Lager 3 – wir haben auch gebuckelt, deshalb waren wir am Ende wirklich toll in Form. Heute geht man zum Akklimatisieren ins Lager 2, erholt sich wieder und dann geht man halt zum Gipfel. Da stimmt natürlich auch die Fitness nicht so, dass man sehr souverän dort hochgehen kann. Alles versichert, ab 6.500 wird mit Maske gegangen…

Wart Ihr damals mit Maske unterwegs?

Bernd Kullmann: Ja, ab dem letzten Lager. Damals waren gerade ein halbes Jahr zuvor Messner und Habeler ohne Maske am Gipfel des Everest und das waren Götter für uns. Wir hätten uns nie getraut, das auch zu versuchen, mit Ausnahme von Hans Engl und zwei Sherpas. Die waren auch bei Messner/Habeler schon dabei, durften aber nicht zum Gipfel. Die sind dann ziemlich locker hochspaziert und auch Hans hat gesagt, er schafft das. Heute gehen 99 Prozent mit Maske da hoch.

Wie stehst Du heute zur Maske?

Bernd Kullmann: Ich vergleiche das gerne mit dem Klettern: Mitte der 1980er kam das Rotpunkt-Klettern auf, weil man sagte, es sei unfair sich an Haken hochzuziehen. Man sollte besser mit den Griffen und Tritten klarkommen, die der natürliche Fels bietet, und Haken nur noch zur Sicherung nutzen. Heute ist das längst State of the Art und die große Masse versucht, in einem sportlich-fairen Stil zu klettern. Ausgerechnet am höchsten Berg der Welt wird das nicht praktiziert. Nach über 35 Jahren müsste es doch selbstverständlich sein, dass ein Everest-Aspirant sagt: „Logisch, ich geh‘ ohne Maske hoch“ – alles andere finde ich nicht mehr zeitgemäß. Wenn ich heute als junger Mensch nochmal zum Everest gehen würde, würde ich selbstverständlich ohne Maske gehen – oder es bleiben lassen.

Nicht nur die Ausrüstung, auch die Einstellung dazu hat sich seit 1978 verändert. Wird Ausrüstung heute zum Teil überbewertet?

Bernd Kullmann: (lacht) Ja, natürlich! Aber davon profitieren wir in der Outdoor-Branche ganz massiv. Ich bin ein Mensch, der die Dinge aufträgt. Wenn ich mich an ein Ausrüstungsteil gewöhnt habe, dann schmeiße ich das nicht weg, solange bis es wirklich nicht mehr geht. Vorher gehe ich noch zum Eugen aus unserem Deuter-Reparaturteam und frage, ob er noch etwas machen kann. Manche Freunde und Kollegen, die wissen, wo ich arbeite, meinen manchmal etwas spöttisch: „Ein guter Repräsentant bist Du mit Deinen Klamotten und mit Deiner Ausrüstung nicht.“

Bist Du ein Sparfuchs?

Bernd Kullmann: Eine gewisse Sparsamkeit habe ich sicher von den schwäbischen Großeltern geerbt, aber das hat weniger mit Geiz zu tun. Eher damit, dass ich diese Teile lieb gewinne. Diese Everest-Jeans habe ich acht Wochen am Stück getragen. Man konnte sie in die Ecke stellen und sie blieb stehen. Nach der Rückkehr wurde sie gewaschen und ich zog sie weiterhin an die Uni an. 1980 habe ich sie in Peru einem Indio geschenkt. Der war total happy über das tolle Kleidungsstück und ich habe die Jeans nicht in die Tonne gekickt, sondern jemandem gegeben, der noch eine Freude daran hat.

Heute würde man bei so einer langen Produktlebensdauer von Nachhaltigkeit sprechen…

Bernd Kullmann: Ich hatte immer sehr viel Respekt vor lange haltbarer Ausrüstung. Patagonia, zum Beispiel, hat diese Philosophie schon immer auch praktiziert. 1988 hatte ich am Cho Oyu und Shisha Pangma einen Patagonia Fleecepullover, der damals schon etliche Jahre alt war – ich habe ihn trotzdem noch ewig getragen. Lang haltbare Produkte haben mich immer tief beeindruckt, daher habe ich auch ganz intensiv versucht, das bei Deuter zu implementieren. Qualität hat oberste Priorität.

„Lang haltbare Produkte haben mich immer tief beeindruckt, daher habe ich auch ganz intensiv versucht, das bei Deuter zu implementieren“

Wieviele Rucksäcke hast Du selbst?

Bernd Kullmann: Ich habe einen ABS-Rucksack, einen Deuter Guide Lite, einen leichten 50-Liter-Rucksack, einen Daypack und einen alten. Also fünf (muss nachzählen). Exklusive meines Businessrucksacks, den ich hier im Büro stehen hab.

Wieviele Rucksäcke braucht ein „normaler“ Bergsportler?

Bernd Kullmann beim Klettern - eine seiner Leidenschaften, die der Lebemann nach wie vor intensiv betreibt. | Foto: Deuter/Christian Pfanzelt
Bernd Kullmann beim Klettern – eine seiner Leidenschaften, die der Lebemann nach wie vor intensiv betreibt. | Foto: Deuter/Christian Pfanzelt

Bernd Kullmann: Ein Bergsteiger braucht keinen Book-Pack, wie ich ihn habe. Den ziehen wir also mal ab. Es gibt die eierlegende Wollmilchsau, einen Kletterrucksack, den man auch für Skitouren hernehmen kann. Das wäre unser Deuter Guide Lite. Wenn es weiter weg gehen soll, braucht man einen großen 50-Liter-Rucksack, denn für eine mehrtägige Biwak-Tour ist der Guide mit 30 bis 35 Liter Volumen einfach zu klein. Als Skitourengeher braucht man heute einen ABS-Rucksack. Erst vor kurzem hat ein Kumpel angerufen, dass er in den Dolomiten in ein Schneebrett gekommen ist. Der hat die Schnauze voll und holt sich jetzt auch einen ABS-Rucksack. Wenn man Mountainbiken geht, rate ich dringend noch zu einem Radlrucksack. Das ist, wenn man ehrlich ist, die Grundausstattung, aber die sollte man sich schon gönnen. Mit einem Rucksack geht es nicht mehr. Das war früher mal so, als ich in den 1970ern Bergsteigen ging.

Du hattest einen schweren Kletterunfall am Battert im Schwarzwald und kennst somit auch den absoluten Boden des Bergsports. Was ist damals passiert, was ist schief gegangen?

Bernd Kullmann: Nach dem Everest habe ich mich aufs schwere Klettern konzentriert, war in den USA und habe Bigwalls gemacht. Das hat mich ziemlich begeistert und ich war damals für deutsche Verhältnisse auch ganz gut. Immer mehr hat geklappt und ich entdeckte den Reiz am Soloklettern. Lange Wände – zum Beispiel in den Dolomiten – in kurzer Zeit, das hat mich fasziniert. Locker und lässig mit wenig Ausrüstung einsteigen, hoch, wieder runter und nachmittags mit der Freundin zum Baden gehen…

Klingt gut, solange es gut geht, oder?

Bernd Kullmann: Im Klettergarten am Battert habe ich, bevor ich überhaupt das Seil ausgepackte, erstmal 30 Solorouten bis zum siebten Grad gemacht. Man entwickelt dabei ein bisschen einen persönlichen Unverletzlichkeitsglauben, man könnte es auch Arroganz nennen. Ich habe das immer weiter gesteigert und bei so einer Solokletterei ist mir dann in zehn bis 15 Meter Höhe ein Griff ausgebrochen und ich bin voll auf den Boden runter.

Als Ergebnis waren beide Beine zertrümmert, das rechte Schienbein stand zehn Zentimeter aus dem Bein. Wenn man so will, bist Du also vom Kletterorbit in den Rollstuhl gefallen?

Bernd Kullmann: Ja, das Bein stand auf der Kippe, ich lag einige Tage auf der Intensivstation und hatte auch schwere Kopfverletzungen. Damals war Klettern mein Lebensinhalt und diese massive Säule in meinem Leben brach nun mit einem Schlag weg. Es war lange unklar, ob ich je wieder gehen oder klettern kann.

Wie ging es für Dich weiter?

Bernd Kullmann: Ich saß dann drei Monate im Rollstuhl, bin dann eineinhalb Jahre mit Krücken gegangen, hatte sieben Operationen und lag über ein halbes Jahr im Krankenhaus. Ich war völlig deprimiert. Hoffnung gegeben hat mir das Bergsteiger-Netzwerk aus Freunden und Bekannten. Zum Beispiel hat mich Filmemacher Martin Schliessler einmal im Krankenhaus besucht und mich mit dem Orthopäden Dr. Erwin Hipp in München in Kontakt gebracht. Hipp hatte ein Herz für Bergsteiger und sah sich meinen Fall an. Er sagte: „Okay, sieht scheiße aus. Aber, wir kriegen das hin. Das Sprunggelenk wird versteift, anders geht es nicht, aber dann können Sie alles wieder machen.“ Ich habe sofort gefragt, ob ich wieder klettern kann und auf Expedition…

Hipps Antwort war positiv. Wann warst Du zurück am Fels?

Bernd Kullmann: Es hat lange gedauert, bis alles verheilt war. Irgendwann habe ich einen Kunststoffgips bekommen und so einen riesigen Schuh zum Drüberziehen. Dann bin ich mit den Kumpels an den Fels gefahren, einfach um mit dabei zu sein. Einer meiner besten Freunde hat mich dann ermuntert, es trotz Gips mal auszuprobieren. Am nächsten Wochenende ging es in die Pfalz an die Klosterwand, sieben minus. Mein Kumpel Jürgen „Plum“ Knappe meinte, ich müsste nur mit links auf kleinen Kieseln stehen und mit rechts, wo der Gips dran war, hätte ich große Tritte. Das ging dann auch und ich habe wieder angefangen zu klettern. Ein befreundeter Schuhmacher hat mir schließlich eine Klettersohle auf den Gips gemacht.

Was hat der Arzt gesagt?

Bernd Kullmann: Dr. Hipp hat den Schuh natürlich gesehen und gefragt, wann ich das letzte Mal beim Klettern war. Ich hab so eine Birne gekriegt, es war mir so peinlich! Ich dachte, er schreit mich zusammen, aber er hat nur gesagt: „Okay, können Sie machen, aber ja nicht abspringen!“ Nach insgesamt zwei Jahren hatte ich keinen Gips mehr und konnte das erste Mal wieder richtig klettern. Später war ich auch wieder auf Expedition und kann eigentlich alles wieder machen.

„Ein befreundeter Schuhmacher hat mir eine Klettersohle auf den Gips gemacht.“

Was hat der Unfall verändert, ist das mit ein Grund für die drei Säulen?

Bernd Kullmann, der "Climbaholic", mal wieder unterwegs am Fels. | Foto: Deuter/Christian Pfanzelt
Bernd Kullmann, der „Climbaholic“, mal wieder unterwegs am Fels. | Foto: Deuter/Christian Pfanzelt

Bernd Kullmann: Ja, mir ist klar geworden, dass nur Klettern nicht lebensausfüllend sein wird. Vor dem Unfall gingen meine Beziehungen immer wieder in die Brüche, weil ich brutal egoistisch war und nur an den Fels wollte. Während der Rekonvaleszenz habe ich dann meine heutige Frau kennengelernt. Sie ist damals auch geklettert, macht sie heute noch, aber ich habe es auch anders gewichtet. Überrascht hat mich schließlich mein Referendariat. Im Studium hatte ich die ersten Semester wenig gemacht, nur das Notwendige. Das Referendariat, das Lehrer-Dasein, hat mir total Spaß gemacht und damit war klar, dass auch der Beruf Erfüllung bringen kann. Eine Familie hatte ich damals noch nicht, aber immerhin eine feste Freundin, die es länger bei mir ausgehalten hat – und auch das Klettern. Die drei Säulen haben sich so langsam gebildet.

Trotz guter Noten hast Du aber keinen Job als Lehrer bekommen und bist letztlich bei Deuter gelandet. War das sofort, was Du Dir vorgestellt hast?

Bernd Kullmann: Nein, die sind alle im Anzug rumgerannt und die Rucksäcke waren Kopien von Lowe. Aber, irgendetwas musste ich machen und der Deuter-Vorstand wollte mich für den Außendienst in Bayern anheuern. Ich habe gedacht, ich könnte abends, nachdem ich die Händler besucht habe, ein bisschen klettern gehen – da war ich ein wenig naiv. Auch das Gehalt war okay, daher habe ich gesagt, „okay, ich probier’s mal“.

Die dritte Säule ist Deine Familie, was hat sich dadurch verändert?

Bernd Kullmann: Da gab es ein einschneidendes Erlebnis: Meine Tochter wurde 1990 geboren und als ich im Frühjahr 1991 nochmal auf Expedition an den Mount McKinley ging, hatte ich vom ersten Moment an ein schlechtes Gewissen: Frau allein zuhause und Expeditionsbergsteigen ist auch nicht das risikofreiste Hobby. Mein Kopf war nicht mehr dabei und ich habe immer an mein Kind gedacht, an zuhause… Dann ist Jürgen Knappe in eine Spalte getappt und hat sich das Knie verdreht. Es war klar, dass er heim muss und auch, dass ich mitkomme. Schon in Anchorage am Flughafen wusste ich, dass ich nicht mehr auf Expedition gehe.

Zu Deinen Weggefährten und Kletterpartnern gehören viele große Namen. Wenn Du ein Dreamteam für eine Tour zusammenstellen könntest: Wo würdest Du hingehen und mit wem?

Bernd Kullmann: (Pause) Ich glaube, der allerspannendste und visionärste meiner Kletterpartner war Helmut Kiene. Er hat den siebten Grad eingeführt mit den Pumprissen und auch sonst wahnsinnig tolle Sachen gemacht, die heute keiner mehr weiß. Helmut war als Alpinist superstark. Es war immer sehr spannend mit ihm unterwegs zu sein. Oft sind wir zwölf Stunden mit dem Käfer in die Calanques gefahren und haben viel geredet. Helmut war blitzgescheit und es war jedes Mal eine Herausforderung, mit ihm diese langen Gespräche zu führen. Gerade 1976 waren wir viel unterwegs und hatten unglaublichen Spaß, haben bei unseren Begehungen die Messner-Zeiten halbiert und was weiß ich nicht alles. Er war souverän. Damals waren wir als Zweierseilschaft schon ein Dreamteam. Und mit ihm zum Beispiel, ja, Cerro Torre, Patagonien!

Warum der Cerro Torre?

Bernd Kullmann: Den hatte ich vor Jahren schon ausgemacht mit Jürgen Knappe und Tom Höck. Dann haben ein paar Spezl gemeint, es könne passieren, dass man fünf Wochen unten hockt und den Berg gar nicht sieht. Ich glaube, seither ist das Wetter etwas stabiler geworden. Letztlich war mir das Risiko zu hoch, fünf Wochen Jahresurlaub zu investieren, um vielleicht den Berg nicht zu sehen. Ich habe kurz vor dem Start abgesagt, Plum und Tom sind geflogen und hatten Glück: Sie haben Karl Gabl angerufen, der ein dreitägiges Wetterfenster vorhersagte, und nach zehn Tagen waren die beiden über die Kompressorroute am Cerro Torre. Daher: mit Helmut Kiene nach Patagonien, das wär’s!

Eine große Expedition würde Dich nicht so sehr locken?

Bernd Kullmann: Doch, auch! Wenn ich nochmal im Expeditionsalter für einen großen Berg wäre, dann mit Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits. Die Gerlinde ist so was von stark! Es ist wichtig, dass man bei solchen Expeditionen souveräne Leute um sich hat. Gerlinde und Ralf können wahnsinnig anschieben, man hat tolle Chancen auf den Gipfel zu kommen und ich verstehe mich gut mit den beiden. Das ist mir wichtig. Auf eine Expedition würde ich nur noch mit Leuten gehen, die ich kenne und von denen ich wüsste, dass es funktionieren würde. Und wenn dann noch ein Vierter dazu kommen soll, dann sicherlich der Günther Härter. Das wäre für einen hohen Berg ein echtes Dreamteam.

Nachdem Du jetzt beruflich kürzer getreten bist: Hast Du Lust, wieder mehr zu klettern?

Bernd Kullmann: Wie gesagt, Klettern ist schön und recht, aber es gibt immer noch die Familie und man wird älter, bekommt Knieschmerzen wegen der Arthrose… Dass das mal wieder „back to the roots“ geht, wie das mal war, also eine ganz, ganz fette Säule, das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. (lacht)

Ich bedanke mich sehr herzlich für das Interview!

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